Aktuelle Pressemitteilungen - Sachsen-Anhalt
Friedrich-Ebert-Stiftung stellt neue
Rechtsextremismus-Studie vor /
Innenminister: Gedenkstättenbesuche sollten für Schulen wieder zur Pflicht
werden
18.06.2008, Magdeburg – 146
- Ministerium für Inneres und Sport
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 146/08
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 146/08
Magdeburg, den 18. Juni 2008
Friedrich-Ebert-Stiftung stellt neue
Rechtsextremismus-Studie vor /
Innenminister: Gedenkstättenbesuche sollten für Schulen wieder zur Pflicht
werden
Sachsen-Anhalts
Innenminister Holger Hövelmann (SPD) spricht sich dafür aus,
Gedenkstättenarbeit verstärkt für die Aufklärung von Schülerinnen und Schülern
über Nazigräuel zu nutzen und Besuche in KZ-Gedenkstätten wieder zur Pflicht zu
machen. ¿Für Schülerinnen und Schüler, die den Verbrechen der deutschen
Geschichte nur Gleichgültigkeit entgegenbringen, kann die schockartige
Konfrontation mit den Tatorten in Auschwitz, Buchenwald, aber auch in Bernburg
und Prettin nur nützlich sein. Und den nationalistischen Schreiern unter ihnen
gehört die historische Wahrheit zumindest um die Ohren gehauen¿, so Hövelmann
bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung heute Abend in Berlin.
¿Der Ansatz des DDR-Schulsystems, dass jede Schülerin und jeder Schüler einen
solchen Ort gesehen haben soll, war im Grundsatz richtig.¿ Selbstverständlich
sollten auch Besuche von Gedenkstätten auf dem Programm stehen, die an die
Opfer der SED-Herrschaft erinnern, so der Minister weiter.
Hövelmann
äußert sich am heutigen Mittwoch Abend im Rahmen der Vorstellung der neuen
Studie ¿Ein Blick in die Mitte¿ zur Entstehung rechtsextremer und
demokratischer Einstellungen in Deutschland. Den Wortlaut und weitere
Informationen zur Studie finden Sie unter http://www.fes.de/rechtsextremismus.
Der
Kommentar von Minister Hövelmann zur Studie im Wortlaut:
¿Die
Studie ,Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre
Einflussfaktoren in Deutschland` hat vor knapp zwei Jahren für einiges Aufsehen
in Deutschland gesorgt. Das betraf nicht zuletzt die empirischen Unterschiede,
insbesondere aber die Übereinstimmungen zwischen Ost- und Westdeutschland bei
fremdenfeindlichen und antidemokratischen Einstellungen in der Gesellschaft.
Ich
begrüße das verantwortungsvolle Engagement der Friedrich-Ebert-Stiftung, die
den quantitativen Ansatz der ersten Studie mit einer qualitativen Vertiefung in
der heute vorgestellten Studie ergänzt. Denn in meinem eigenen politischen
Alltag stoße ich noch immer auf eine Haltung, die besagt: ,Ihr bauscht das
Problem doch nur auf. Wenn Ihr nicht so viel darüber reden würdet, hätten wir
weniger Sorgen um Rechtsextremismus.`
Erfreulicherweise
kann sich diese Haltung, lieber nicht so genau hinzusehen, derzeit nicht mehr
durchsetzen, was sich bei uns in Sachsen-Anhalt nicht zuletzt in einer
landesweit erfolgreichen Kampagne unter dem Motto ,Hingucken und einmischen`
manifestiert. Aber wir brauchen auch immer wieder den Impuls von Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern, die ganz genau hinsehen und uns mit ungeschminkten
Analysen konfrontieren. Dafür danke ich schon jetzt.
Ich
möchte auf drei Aspekte der Studie eingehen, die unmittelbar mit der Verantwortung
eines Innenministers zu tun haben.
Der erste
Aspekt betrifft die Gegenwart nationalsozialistischer Verbrechen und deutscher
Kriegsschuld, die immer weniger in Konfrontation mit der Tätergeneration und
immer stärker nur vermittelt entstehen kann. Das verleiht der Gedenkstättenarbeit
eine größere gesellschaftspolitische Bedeutung als noch vor 15 oder 20 Jahren.
Sachsen-Anhalt
hat nicht die großen, spektakulären Gedenkstätten, um die sich die großen
geschichtspolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre entspannen.
Wichtig sind sie trotzdem. Ich will nur zwei Beispiele nennen:
·
Die Gedenkstätte für Opfer der NS-Euthanasie Bernburg
steht in besonders krasser Weise dafür, dass Ausgrenzungswahn und
Vernichtungswille bereits im historischen Nationalsozialismus aus der Mitte der
Gesellschaft kamen. Die Gedenkstätte Bernburg macht die Verantwortung und
eigene Täterschaft von Medizinern bei den Mordprogrammen der Nazis deutlich.
·
Die jüngste Gedenkstätte im Verbund der Stiftung
Gedenkstätten Sachsen-Anhalt, die KZ-Gedenkstätte Lichtenburg in Prettin, steht
in diesen Tagen besonders im Blickpunkt. Am Wochenende erinnern wir bei einer
gemeinsamen Veranstaltung der Stiftung und der SPD-Bundestagsfraktion an die
Errichtung des KZ vor 75 Jahren und ehren die zahlreichen sozialdemokratischen
und kommunistischen Reichstagsabgeordneten, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre,
die nach dem Verbot von KPD und SPD dort inhaftiert wurden. Diese Gedenkstätte
ist ein Beispiel dafür, wie ein historisch wichtiges Projekt von ehrenamtlich
Engagierten vor Ort am Leben gehalten und der Politik durch Druck von unten
schließlich eine ,offizielle ` Gedenkstätte abgetrotzt wurde. Ich bin froh, dass
wir diese Lücke in der Gedenkstättenpolitik Sachsen-Anhalts jetzt schließen
können.
Es
wird aber nicht ausreichen, Gedenkstätten nur als ein Angebot zur Erinnerung
vorzuhalten. Für Schülerinnen und Schüler, die den Verbrechen der deutschen
Geschichte nur Gleichgültigkeit entgegenbringen, kann die schockartige
Konfrontation mit den Tatorten in Auschwitz, Buchenwald und eben auch in Bernburg
und Prettin nur nützlich sein. Und den nationalistischen Schreiern unter ihnen
gehört die historische Wahrheit zumindest um die Ohren gehauen. Der Ansatz des
DDR-Schulsystems, dass jede Schülerin und jeder Schüler einen solchen Ort
gesehen haben soll, war im Grundsatz richtig.
Selbstverständlich
sollten auch Besuche von Gedenkstätten auf dem Programm stehen, die an die
Opfer der SED-Herrschaft erinnern.
Der
zweite Aspekt betrifft die Einstellung zur Demokratie. Ob mangelnde Demokratieakzeptanz
eher Ursache oder eher Folge rechtsextremer Ansichten ist, wage ich nicht zu
beurteilen. Wir müssen aber heute konstatieren, dass weit über rechtsextreme
Bevölkerungskreise hinaus das real existierende demokratische System ein
schlechtes Ansehen genießt. Das belegte zum Beispiel auch der im September 2007
veröffentlichte repräsentative Sachsen-Anhalt-Monitor.
Ich kann mir nicht
vorstellen, dass man daran mit Werbekampagnen oder mit dem besseren Erklären
demokratischer Prozesse etwas ändern wird. Wir müssen vielmehr vermitteln,
dass Demokratie kein fertiges Produkt ist, das man konsumieren kann. Die
demokratische Republik wurde den Kräften der alten Gesellschaft in
revolutionären Kämpfen abgetrotzt und muss immer wieder verteidigt, neu
gestaltet und vor allem mit Leben gefüllt werden. Demokratie ist letztlich nur
der zivilisierte Rahmen für gesellschaftliche Auseinandersetzungen, in die
jeder seine eigenen Interessen einbringen muss. Die Ergebnisse, die die
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in diesen Auseinandersetzungen
erzielen, hängen natürlich auch von den ausgehandelten demokratischen
Spielregeln, vor allem aber von den Kräfteverhältnissen ab.
Ich
unterstütze deshalb den Ansatz der Studie, gerade die Bereiche der Gesellschaft
weiter zu demokratisieren, in denen junge Menschen lernen können, für die
eigenen Bedürfnisse Partei zu ergreifen und damit auch mitzugestalten.
Der
dritte Aspekt ist das, was in der Studie als ,struktureller und
institutioneller Rassismus` bezeichnet wird. Wir können in vielen europäischen
Ländern beobachten, wie die Forderungen rechtspopulistischer,
ausländerfeindlicher Parteien enormen Einfluss auf das Handeln der
demokratischen Parteien gewinnen. Besonders krasse Beispiele sind die
Niederlande mit Geert Wilders¿ unsäglichem antiislamischen Film, Dänemark mit
seinem Karikaturenstreit, Österreich mit einem Wettstreit auf der politischen
Rechten um rassistische und europafeindliche Provokationen. In Deutschlands
Parteiensystem gibt es diese rechtspopulistische Komponente nicht, aber in
manchen Wahlkämpfen ist sie durchaus angelegt. Und auch in Deutschland stemmen
sich Konservative nunmehr seit Jahrzehnten gegen ein modernes, liberales
Zuwanderungsrecht, wie es Unternehmer aus wohlverstandenem Eigeninteresse
längst einfordern.
Das
beherrschende Merkmal dieses Verhaltens demokratischer Parteien ist Angst ¿
Angst vor dem wahlpolitischen Wirksamwerden xenophober Strömungen in der
Bevölkerung. Angst vor der Angst ¿ damit kann man keine Politik gestalten. Das
richtige Konzept ist Gegenhalten, Mut zeigen, argumentieren. Denn neben den
Ängsten, die aus den in der Studie protokollierten Gruppengesprächen förmlich
herausquellen, gibt es auch die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander, das
an vielen Orten in unserem Land gelebte Realität ist. Als Feindbild taugt doch
immer nur jemand, der als fremd empfunden werden kann. Wo Fremdheit überwunden
wird, wird dem Rassismus der Boden entzogen. Noch hat jede Einwanderungswelle
auch neue Akzeptanz hervorgebracht, und aktualisierte Feindbilder mussten her.
Unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu zeigen, dass es sich ohne Feinde, ohne
konstruierte Fremdheit und ohne Angst besser lebt.¿
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