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Aktuelle Pressemitteilungen - Sachsen-Anhalt

Redebeitrag von Innenminister Dr. Püchel:
Berichterstattung der Landesregierung zum Stand eines Verbotsantrages gegen die NPD

10.11.2000, Magdeburg – 145

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 145/00

 

Magdeburg, den 10. November 2000

 

 

Redebeitrag von Innenminister Dr. Püchel:

Berichterstattung der Landesregierung zum Stand eines Verbotsantrages gegen die NPD

 

TOP 19 der Landtagssitzung am 9./10. November 2000

 

Es gilt das gesprochene Wort!

 

In der Aussprache über die Große Anfrage zur Situation der Polizei habe ich bereits in der letzten Landtagssitzung begrüßt, dass in Deutschland in diesem Sommer endlich eine nachhaltige Diskussion über die Gefahren des Rechtsextremismus begonnen hat. Der Umstand, dass wir heute über den Verbotsantrag gegen die NPD diskutieren, beweist, dass es sich bei dieser Diskussion nicht nur um ein Sommerlochthema handelte, sondern, dass Staat und Gesellschaft handeln.

 

Um einen Kritikpunkt gleich vorweg zu nehmen: Ein Verbot der NPD allein wird das Hauptproblem, nämlich die braunen überzeugungen in den Köpfen von Menschen, natürlich nicht beheben können.

 

Aber das Verbot ist ein wichtiger Baustein bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus. Mit der NPD wird ein Dach zerschlagen, unter dem sich Rechtsextremisten sammeln, um im Schutze des Parteienprivilegs unsere Demokratie anzugreifen. Mit dem Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zeigen die Demokraten in Deutschland, dass der Satz von der "wehrhaften Demokratie" nicht nur ein Lippenbekenntnis ist.

 

Anrede,

ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen den Ablauf der Geschehnisse und meine Auffassung hierzu vorzutragen. Die Diskussion wurde von meinem bayerischen Amtskollegen Beckstein am 31. Juli angestoßen. Am 11. August trat erstmals eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe in Berlin zusammen, die sich mit der verfassungs- und verfassungsschutzrechtlichen Prüfung eines NPD-Verbots beschäftigte.

 

Die Arbeitsgruppe bestand aus Verfassungsrechts- und Verfassungsschutzexperten des Bundes und der Länder. Unser Land war in Person des Abteilungsleiters Verfassungsschutz vertreten. Dieses Gremium hatte den Auftrag, bis Mitte Oktober die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung über einen eventuellen Verbotsantrag gegen die NPD zu erarbeiten.

 

In einem ersten Schritt wurden die verbotsrelevanten Fakten von den Verfassungsschutzbehörden bis Anfang September zusammengetragen und dem Bundesamt für Verfassungsschutz zugeleitet. Dabei wurden auch die Erkenntnisse unseres Verfassungsschutzes insbesondere zur Zusammenarbeit der NPD mit neonazistischen Kameradschaften und rechtsextremistischen Skinheads umfassend berücksichtigt.

 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz wiederum legte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine komplexe Materialsammlung zur Zulässigkeit und Begründetheit anlässlich ihrer Tagung am 20. September in Köln vor.

 

Den Erkenntnissen der sachsen-anhaltischen Verfassungsschutzbehörde kommt dabei überdurchschnittliche Bedeutung zu. Denn obwohl der sachsen-anhaltische Landesverband der NPD nur über vergleichsweise wenig Mitglieder verfügt, finden seine Aktivitäten um so mehr auf Grund seiner intensiven Zusammenarbeit mit neonazistischen Kräften wie den so genannten "Kameradschaften" und "Freien Nationalisten" besondere Beachtung.

 

Die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gemeinsam getragene Materialsammlung diente als Grundlage für die verfassungsrechtliche Prüfung, die eine Gruppe von Verfassungsrechtlern vornahm.

 

Die verfassungsrechtliche Prüfung hatte zum Ergebnis, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele in aktiv-kämpferischer und aggressiver Weise verfolgt und ein Verbot dieser Partei zur Bewahrung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geeignet, erforderlich und angemessen und somit auch verhältnismäßig ist.

 

Am 26. Oktober beschloss die IMK bei zwei Enthaltungen die Stellung eines Antrags auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD zu befürworten und die Konferenz der Ministerpräsidenten über das Ergebnis der Beratungen zu informieren.

 

Die Ministerpräsidentenkonferenz befürwortete am 27. Oktober einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD beim Bundesverfassungsgericht. Nur zwei Ministerpräsidenten stimmten dem nicht zu.

 

Heute berät der Bundesrat über die Beantragung eines NPD-Verbots beim Bundesverfassungsgericht. Nach derzeitigem Stand wird er beschließen, ebenfalls einen entsprechenden Antrag zu stellen.

 

Ob der Bundestag einen eigenen Antrag stellen wird oder er bezüglich der Initiative von Bundesregierung und Bundesrat einen zustimmenden Beschluss fasst, ist noch offen. Nach der Planung werden noch in diesem Jahr Bundesrat und Bundesregierung den Verbotsantrag gegen die NPD beim Bundesverfassungsgericht stellen.

 

Anrede,

wie Sie der Presse entnehmen konnten, stand ich anfangs einem Verbotsverfahren skeptisch gegenüber. Im August habe ich gesagt, dass man von einem Verbot absehen sollte, falls Zweifel an der Durchsetzbarkeit bestehen würden.

 

Dieses sehe ich immer noch so. Ich bin allerdings nach eingehender Prüfung zu der Auffassung gekommen, dass die Gründe für ein Verbot ausreichend sind. Die mittlerweile zusammengetragenen Erkenntnisse belasten die NPD in einem so hohen Maße, dass aus meiner Sicht ein Verbotsantrag Erfolg haben könnte. Diejenigen, die in der öffentlichen Diskussion Zweifel an den Erfolgsaussichten eines Verbotsantrages hegen, tun dieses zum Teil ohne Kenntnis des zusammengetragenen Materials.

 

Ich möchte und kann in diesem Zusammenhang nicht alle Details nennen. Lassen Sie mich Ihnen aber einige grundlegende Fakten darlegen:

 

Die NPD wurde 1964 gegründet und verzeichnete in den sechziger Jahren erhebliche Erfolge. Bei den Bundestagswahlen 1969 scheiterte sie nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. So blieb sie ein Teil des zersplitterten rechtsextremistischen Parteienspektrums. In den siebziger und achtziger Jahren setzte ein allmählicher Niedergang ein.

 

Mit der Wiedervereinigung konnte sich die NPD zwar auch ein Standbein in den neuen Bundesländern verschaffen, aber den Niedergang unter der Führung des Revisionisten Deckert nicht aufhalten. Mit der übernahme des Parteivorsitzes durch Voigt erhielten ihre Aktivitäten ab 1996 jedoch eine neue Qualität:

 

Die NPD gab ihre Abgrenzung gegenüber den Neonazis auf, was sich 1997 symptomatisch in der Wahl des in Sachsen-Anhalt ansässigen Neonazis Hupka zum Landesvorsitzenden widerspiegelte. Zusätzlich entwickelte die NPD mit dem von ihr so genannten "Drei-Säulen-Konzept" eine neue strategische Vorgehensweise. Sie versteht darunter den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Köpfe" und den "Kampf um die Parlamente".

 

Anrede,

unter dem "Kampf um die Straße" hatte gerade das Land Sachsen-Anhalt in den letzten drei Jahren verstärkt zu leiden:

Wiederholt wurde die Landeshauptstadt Schauplatz von Aufmärschen, die die NPD angemeldet hat oder an der sie maßgeblich beteiligt war. Ich erinnere an die beiden Demonstrationen der NPD im Februar und April letzten Jahres in Magdeburg.

 

Ziel der NPD war es stets, mit martialischem und paramilitärischem Auftreten zu beeindrucken, um nicht zu sagen einzuschüchtern. Wie zu beobachten war, befanden sich in den Marschkolonnen und bei den Kundgebungen nicht nur NPD-Mitglieder, sondern auch rechtsextremistische Skinheads und neonationalsozialistische Kameradschaftler, die in besonders hohem Maße für die alltägliche rechtsextremistische Gewalt verantwortlich sind.

 

Hartgesottenen Neonazis, wie den so genannten "Freien Nationalisten", bietet die NPD auf diesen Veranstaltungen ein Podium, um Demokratie und Rechtsordnung zu schmähen sowie ausländerfeindliche Parolen zu verkünden.

 

Anrede,

ich möchte Ihnen anhand einiger Zitate plastisch vor Augen führen, welches die Absichten und Ansichten führender Funktionäre der NPD sind.

Die NPD sieht sich nicht als eine Partei im Kontext der bestehenden staatlichen Ordnung, sondern als grundsätzliche Alternative zum Gesellschaftssystem. So äußerte der Parteivorsitzende Voigt am 27. Mai: "Wir Nationaldemokraten sehen uns als grundsätzliche Alternative zum gegenwärtigen Parteienspektrum. (...) Die NPD ist nicht eine Partei neben den Bonner Parteien, sondern gegen sie !"

Der stellvertretende Parteivorsitzende Eisenecker sagte im Januar: "Wir wollen nicht bewahren, wir wollen dieses System überwinden, weil davon das überleben unseres Volkes abhängt."

 

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines ganz deutlich sagen:

Es gibt bei dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht keine hundertprozentige Sicherheit, dass die Verfassungswidrigkeit der NPD durch die Richter festgestellt wird. Das verbleibende "Restrisiko", wenn ich dies einmal so bezeichnen darf, halte ich für verantwortbar. Was aber, wenn dem Verbotsantrag nicht stattgegeben wird?

 

Natürlich besteht die Gefahr, dass die NPD versuchen wird, diese Situation propagandistisch auszunutzen. Die Entscheidung müsste genau analysiert werden. Ich schließe aber aus, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD zu einer verfassungskonformen Partei erklären wird, wie seitens der NPD vollmundig verkündet worden ist. Im übrigen, was wäre denn die Alternative? Verzichten wir auf einen Verbotsantrag, bedeutete dieses - nachdem die Diskussion soweit fortgeschritten ist - auch die Anerkennung der Verfassungskonformität der NPD.

 

Anrede,

in jedem Fall wird das Land Sachsen-Anhalt mit allen Mitteln des Rechtsstaates weiterhin gegen konsequent alle rechtsextremistischen Tendenzen vorgehen. Das muss auch gelten, wenn die NPD, wie beantragt, verboten wird. Das ist ein Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist und der auch meinen Kollegen in den anderen Bundesländern sehr bewusst ist.

 

Die gewaltbereite rechtsextremistische Neonazi- und Skinheadszene wird zwar in ihrem ideologischen Rückhalt geschwächt und verliert einen gewichtigen Teil ihrer Agitationsbasis, aber sie wird auch nach einem Verbot der NPD noch existent sein.

 

Die Bundesrepublik Deutschland ist eine stabile Demokratie, deren Existenz durch die NPD nicht unmittelbar gefährdet ist. Die NPD ist aber mitverantwortlich für ein geistiges Klima, das den Boden für gewaltsame übergriffe von Rechtsextremisten auf Ausländer und Minderheiten in Deutschland schafft.

Es sind die Opfer von Ausländerhass und rechtsextremistisch motivierter Gewalt gegen Minderheiten, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Es muss grundsätzlich für jedermann und jederzeit möglich sein, sich unbehelligt in unseren Städten und Dörfern aufzuhalten.

 

Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus muss auch nach einem Verbot weiter mit aller Konsequenz auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen

- sowohl repressiv als auch präventiv - geführt werden.

 

Es bedarf daher einer langfristigen Strategie auf Bundes-, Landes- und auf kommunaler Ebene. In diesem Sinne ist ein Verbotsverfahren ein "Baustein", nicht mehr aber auch nicht weniger.

 

 

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