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Pressemitteilungen der Ministerien

Rede von Innenminister Dr. Manfred Püchel zur Eröffnung der Ausstellung "Im Zeichen der Wende - Der 9.November 1989" in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn am 09.11.1999

09.11.1999, Magdeburg – 143

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 143/99

 

Magdeburg, den 9. November 1999

 

 

Rede von Innenminister Dr. Manfred Püchel zur Eröffnung der Ausstellung "Im Zeichen der Wende - Der 9.November 1989" in der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn am 09.11.1999

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

ich begrüße Sie ganz herzlich zur Eröffnung der Ausstellung "Im Zeichen der Wende - Der 9. November 1989". Ich freue mich, dass Sie heute - am 10. Jahrestag der öffnung der innerdeutschen Grenze - so zahlreich hierher gekommen sind, um der Ereignisse von damals zu gedenken.

Der 9. November ist ein markantes Datum in der deutschen Geschichte, das symbolhaft die wechselvolle Entwicklung Deutschlands und die Geschichte unseres Volkes in diesem zu Ende gehenden Jahrhundert aufzeigt. Es war der 9. November 1918, an dem das Kaiserreich unterging. Der sozialdemokratische Minister Scheidemann rief an diesem Tag vom Balkon des Berliner Reichstages die Republik aus. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wurde Reichskanzler. Damit waren wichtige Voraussetzungen für die Herausbildung eines demokratischen Staates in Deutschland geschaffen worden.

Bereits fünf Jahre später ¿ wieder der 9. November ¿ zeigte sich während eines von Adolf Hitler mit wenigen Gefolgsleuten in München durchgeführten Putschversuches, wie gefährdet die junge Weimarer Republik war. Damals blieb dieser Putschversuch eine Episode. Doch Dauer war der ersten Republik auf deutschem Boden dennoch nicht beschieden.

Am Abend des 9. November 1938 - Hitler hatte mit seinen Anhängern und Sympathisanten in der Zwischenzeit die Weimarer Republik beseitigt, die Nationalsozialistische Diktatur errichtet und Andersdenkende zu Tausenden verhaften lassen - brannten in Deutschland die Synagogen.

Tausende Deutsche jüdischen Glaubens wurden misshandelt und in Konzentrationslager verschleppt. Die so genannte "Reichskristallnacht" markiert eine wichtige Zäsur in der nationalsozialistischen Rassenpolitik, an deren Ende die Ermordung von Millionen Juden aus ganz Europa stand.Danach sollte es 51 Jahre dauern, bis erneut ein 9. November eine besondere und wieder positive Bedeutung für die deutsche Geschichte erlangte.

Nach dem Kriegsende wurde Deutschland von den siegreichen Alliierten besetzt und verwaltet. Bereits in den 40er Jahren wirkte sich negativ aus, dass der Neubeginn nach dem Kriege unter den Bedingungen des sich herausbildenden Kalten Krieges erfolgte.

Der "Eiserne Vorhang" ging mitten durch Deutschland. Während sich jedoch in den westlichen Besatzungszonen auf der Grundlage des westlichen Wertesystems nach 1945 eine demokratische Gesellschaft herausbildete, wurde in der sowjetischen Besatzungszone erneut ein diktatorisches Regime etabliert, das den Menschen grundlegende Rechte vorenthielt. Zu diesen Defiziten zählten insbesondere das Fehlen von Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit.

Bereits Ende der 40er bzw. Anfang der 50er-Jahre schuf die SED-Führung nach sowjetischem Vorbild einen Geheimdienst, der insbesondere nach innen gerichtet und Staat im Staate war.

Fehlende Demokratie und Misswirtschaft veranlassten jährlich Tausende Menschen, dem Land in Richtung Bundesrepublik zu entfliehen und Hab und Gut sowie Verwandte und Bekannte zurückzulassen. Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 wurde den Menschen die Flucht fast unmöglich gemacht und ihnen das Recht auf freie Wahl des Wohnortes weitgehend genommen.

Die SED-Führung hatte ein ganzes Volk eingemauert. Der zynisch "antifaschistischer Schutzwall" genannte Todesstreifen war jedoch nichts anderes als das Eingeständnis eigener Schwäche. Er ist ein Dokument dafür, zu welch schrecklichen Mitteln ein Staat greift, wenn er Angst vor seinen Bürgern hat. Es sollte nicht die letzte Mauer bleiben, die die SED-Führung errichten ließ. In Wandlitz bei Berlin schirmten sich die hohen Herren auch noch vor dem eigenen Volk ab.

Dieses musste zunächst hinnehmen, wie im Auftrag der Partei die Grenzanlagen immer perfekter ausgebaut wurden.

Wer fliehen wollte, riskierte sein Leben, denn die Minen und Selbstschussanlagen waren nicht dazu ausgerichtet, um dem kapitalistischen "Klassenfeind" das Eindringen in die DDR zu erschweren, sondern nach innen, gegen das eigene Volk gerichtet.

Letztlich hatten die Grenzsoldaten mit der Waffe in der Hand jeden Fluchtversuch "feindlich negativer Elemente" aus dem Innern der DDR zu unterbinden. Hunderte Flüchtende bezahlten ihren Versuch, den Unrechtsstaat zu verlassen, mit ihrem Leben.

Wie unmenschlich brutal das Grenzregime zudem auf die eigene Bevölkerung ausgerichtet war, belegt u. a. die Tonbandaufzeichnung einer Dienstbesprechung vom 18. April 1989, wohlgemerkt 1989. Der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, führte im Zusammenhang mit einem Fluchtversuch, der trotz Anwendung der Schusswaffe erfolgreich verlief, aus:

"Was ist denn das für eine Sache, was ist denn das, 70 Schuss loszuballern und der rennt noch nach drüben. Und die machen eine Riesenkampagne. Da haben sie recht. Mensch, wenn einer so schießt, sollen sie eine Kampagne machen." Diese Worte müssen nicht kommentiert werden.

Ab Mitte der 80er Jahre begann in der DDR ein Prozess, der als Emanzipation der Bevölkerung bezeichnet werden kann. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung im Herbst 1989. Beispielhaft möchte ich aus zwei Briefen zitieren, die in dieser Zeit an das "Neue Forum" gerichtet wurden. Ein Tischler schrieb am 11. Oktober 1989:

"Wir, gemeint sind seine Brigademitglieder, haben uns dazu entschlossen, nicht mehr länger tatenlos zuzusehen, sondern auch wir wollen unseren aktiven Beitrag dazu leisten und die sich neu entwickelnden Reformen in unserem Staat unterstützen."

Und eine Schweriner ärztin formulierte am 20. Oktober 1989:

"Es ist aber schon wahr, dass man allzu lange in ¿Winterschlaf` verharrte und sich mit der Floskel, allein könne man doch nichts bewegen, beruhigt hat. Man muss nur das Gehen erst wieder lernen."

Hunderttausende übten im Herbst 1989 den aufrechten Gang und artikulierten ihren Unmut auf der Straße. Die aufbegehrenden Menschen erreichten, dass die SED ihre Herrschaftsstellung verlor, Erich Honecker und seine Weggefährten zurücktreten mussten, politische Gefangene entlassen und erste Reformen eingeleitet wurden.

Niemand, der diese Zeit erlebt und vielleicht auch mitgestaltet hat, wird jene Wochen und Monate je vergessen können.

Die entscheidende Zäsur hatten jene Ereignisse vom Herbst 1989 am 9. November, als Günter Schabowski am Abend dieses Tages auf einer Pressekonferenz gegen 19:00 Uhr eher beiläufig die vom ZK der SED am Nachmittag beschlossenen neuen Reiseregelungen für die Bürger der DDR bekanntgab und auf Nachfrage unsicher formulierte, dass diese Regelungen seines Wissens ab sofort in Kraft treten würden.

Anrede,

was damals noch niemand dachte, trat ein. Am 9. November 1989 begann der Prozess der Auflösung der DDR und der Beseitigung der Teilung Deutschlands. Die eingeleiteten Veränderungen leisteten einen wichtigen Beitrag zur überwindung der Nachkriegsordnung in Europa und der Welt. Es ist glaube ich, nicht übertrieben, zu behaupten, dass die Ereignisse vom 9. November 1989 nicht nur die Geschichte des deutschen Volkes, sondern die Weltgeschichte beeinflusst haben.

An jenem Abend geschah auch in Marienborn das Unfassbare: Unmittelbar nach Bekanntwerden der äußerungen Schabowskis fanden sich auch hier viele Menschen ein und forderten die Durchreise über die Grenzübergangsstelle in die Bundesrepublik.

Um ca. 21:20 Uhr wurden die Schlagbäume geöffnet und die ersten Menschen fuhren mit ihren Trabis und Wartburgs nach Niedersachsen. Was nun folgte, waren unvergessliche Stunden und Tage, die geprägt waren durch Freude, ja Euphorie und ungemeine Hilfsbereitschaft.

Ich selbst beteiligte mich zu jener Zeit an den Montagsdemonstrationen in Magdeburg. Nebenbei mussten wir aber auch die Revolution in unserem Heimatdorf durchführen. Auch an jenem 9.November.

Gegen Mitternacht kam ich nach Hause, ging ins Bett und bekam nichts mit vom Fall der Mauer. Als ich um vier Uhr morgens das Radio anschaltete, hörte ich die Nachricht und weinte. Dieser Tränen schäme ich mich heute noch nicht.

Ganz im Gegenteil, ich rufe sie mir häufiger ins Gedächtnis, wenn ich heute mit Problemen zu kämpfen habe. Ich fuhr dann gegen sechs ins Krankenhaus zur Arbeit und traf einen Pfleger, der gerade aus Helmstedt zurückgekehrt war.

Er zeigte mir zum Beweis einen Kassenbon von der Autobahnraststätte in Helmstedt. Dort hatte er eine Tasse Kaffee bestellt, um mit dem Kassenbon einen schriftlichen Beweis mit Datum und Uhrzeit zu haben, dass er im Westen war.

Am Nachmittag fuhren meine Familie und ich mit dem Trabi gen Westen. Fünf Stunden standen wir vor Marienborn, bis wir nach Mitternacht den Grenzübergang überqueren konnten. Auf Helmstedter Seite standen Hunderte Helmstedter. Sie begossen unser Auto mit Sekt und versorgten uns für die Weiterfahrt.

Ich wünschte mir, dass wir alle, in Ost und West etwas von dieser Stimmung bewahren könnten. Unser Fahrtziel in dieser Nacht war Nienburg an der Weser. Dort wohnten meine Verwandten. Da wir kein Telefon hatten, konnten wir sie nicht über unseren Besuch informieren.

Einen Autoatlas von der Bundesrepublik hatten wir natürlich auch nicht. Wir kannten nur die ungefähre Richtung. Das half uns dann auch nicht mehr weiter, als die Straße zwischen Hannover und Nienburg gesperrt war. Gegen 4.00 Uhr morgens waren wir in Nienburg und hatten natürlich auch keinen Stadtplan.

Zur Sicherheit hatten wir dafür Schlafsäcke und Decken mitgenommen. Nach einigem Umherirren fanden wir das Haus meines Cousins. Auf unser Klingeln wollte erst niemand öffnen. Denn wer klingelt schon früh um vier an einem Novembertag an einer Haustür.

Dass meine Verwandschft verreist sein könnte, hatten wir gar nicht einkalkuliert. Ich habe dieses so ausführlich erzählt, weil ich der Auffasssung bin, dass man sich solche Erlebnisse viel häufiger erzählen sollte. Ost- wie Westdeutsche.

Anrede,

10 Jahre sind seit diesen Ereignissen vergangen. Die DDR trat am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutschland bei. Aus der Genzübergangsstelle Marienborn, dem Synonym für den Kalten Krieg und die Deutsche Teilung ist die Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn geworden. Für mich persönlich ist sie auf Grund des eben Geschilderten auch eine Gedenkstätte für die überwindung der Teilung unseres Vaterlandes geworden.

Ich bin mir sicher, dass es ein richtiger Entschluss war, diesen letzten Grenzübergang, der zudem der Alliiertenkontrollpunkt war, nicht zu schleifen und hier im Gegenteil an die Spaltung Deutschlands, aber auch an die Opfer der SED-Diktatur zu erinnern.

Die Besucherzahlen haben unsere Entscheidung eindrucksvoll bestätigt. Seit der Eröffnung der Gedenkstätte am 13. August 1996 wurde sie von mehr als 150 000 Gästen besucht. Um den ehemaligen Grenzübergang als Gedenkstätte zu eröffnen, waren viele Hindernisse zu überwinden.

Man war zwar auch in Bonn der Auffassung, dass Marienborn eine Gedenkstätte von nationaler Bedeutung sei. Die Finanzierung wollte man jedoch dem kleinen Land Sachsen-Anhalt überlassen. Genau am 13. Juni 1996, also zwei Monate vor dem 35. Jahrestag des Mauerbaus habe ich dann spontan entschieden, dass wir die Gedenkstätte am 13. August als Gedenkstätte im Entstehen eröffnen werden.

Infolgedessen blieben uns genau acht Wochen, um mit Bordmitteln das Nötigste für die Eröffnung herrichten zu können. Dass die Entscheidung bei allen Risiken richtig war, sehen wir heute. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und einmal all denen danken, die mit dazu beigetragen haben, dass wir bis heute überhaupt soweit gekommen sind.

Gegenwärtig wird das ehemalige Stabsgebäude zu einem modernen Informations- und Dokumentationszentrum umgebaut. Im nächsten Jahr soll die denkmalgerechte Sanierung der ehemaligen Funktionseinheiten folgen. Ich bin froh und bedanke mich ganz bei der Bundesregierung dafür, dass uns der Bund bei der Realisierung dieser Projekte mit über 2,8 Mio. DM unterstützt.

Unterstützung findet das Land beim Aufbau der Gedenkstätte auch aus der Wirtschaft. Gerade vor einigen Tagen hat die Ostdeutsche Sparkassenstiftung beschlossen, den Aufbau der Gedenkstätte durch eine namhafte Zuwendung für die Einrichtung der Dauerausstellung zu fördern. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken.

Anrede,

10 Jahre Mauerfall und öffnung der Grenze sind für uns Anlass, hier in Marienborn unserer Freude über dieses Ereignis Ausdruck zu verleihen. Ich finde es geradezu symbolhaft, wenn am heutigen Tage an diesem Ort die Einweihung des letzten Bauabschnittes der BAB A 2 erfolgen konnte. Möge dies ein Beitrag zur Erfüllung der Vision Willy Brandts sein, der 1989 ausrief: "Nun wächst zusammen, was zusammen gehört!"

10 Jahre Mauerfall und öffnung der Grenze sind aber auch Anlass die Ereignisse jener Tage in einer Ausstellung zu dokumentieren. Diese Ausstellung wurde in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft "Museen, Denkmale und Gedenkstätten an der ehemaligen innerdeutschen Grenze" erstellt.

Sie verdeutlicht, mit welchem Engagement das Volk in der DDR sich im Herbst 1989 gegen das SED-Unrechtsregime auflehnte. Die Ausstellung stellt in knapper Form die Ereignisse jenes Herbstes dar, sie versucht, die Dramatik jener Zeit wiederzugeben. Das ist natürlich nur bedingt möglich.

Die Ausstellung zeigt aber auch, dass es völlig verfehlt ist, im nachhinein die DDR nostalgisch zu verklären. In diesem Sinne wünsche ich der Ausstellung interessierte und fragende Besucher. Vielleicht ist der Besuch dieser Ausstellung Anlass, über die damaligen historischen Entwicklungen und über gegenwärtige Erscheinungen zu diskutieren. Ich danke allen Beteiligten dieses Projektes für ihr Engagement und wünsche der Ausstellung viel Erfolg.

Bevor ich die Ausstellung eröffne, seien mir noch 2 Hinweise gestattet:

 

1. Am heutigen Tage werden in Marienborn noch weitere Veranstaltungen stattfinden. Ich möchte Sie auch hierzu ganz herzlich einladen.

2. Herr Schäfer von der Bördesparkasse in Oschersleben hat mich darum gebeten, kurz zu Ihnen sprechen zu dürfen. Diesen Wunsch erfülle ich gern.

 

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