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Aktuelle Pressemitteilungen - Sachsen-Anhalt

Rede von Staatssekretär Dr. Rainer Holtschneider aus Anlass der konstituierenden Sitzung des Gedenkstättenbeirates am 03. April 2000

03.04.2000, Magdeburg – 39

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 039/00

 

Magdeburg, den 3. April 2000

 

 

Rede von Staatssekretär Dr. Rainer Holtschneider aus Anlass der konstituierenden Sitzung des Gedenkstättenbeirates am 03. April 2000

 

Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede,

die Geschichte des deutschen Volkes verlief im 20. Jahrhundert außerordentlich wechselvoll und widersprüchlich:

Dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik stand ihr Missbrauch durch diktatorische Regime gegenüber. Im vergangenen Jahrhundert ist von deutschem Boden Krieg und Aggression ausgegangen; zwischen 1933 und 1945 herrschte in Deutschland die Diktatur der Nationalsozialisten, in deren Verlauf Millionen Menschen ermordet wurden und unsägliches Leid über die Menschheit gebracht wurde. Nach 1945 wurde in der Sowjetischen Besatzungszone fast übergangslos erneut ein Unrechtsregime errichtet, das erst durch die friedliche Revolution von 1989/90 beseitigt werden konnte. Diese unheilvolle Geschichte lehrt, dass die folgende Formulierung Richard von Weizsäckers, die ich bereits im Jahre 1996 bei der Eröffnung der Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle zitierte, leider Berechtigung besitzt. Es gibt, sagte Weizsäcker, "keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit. Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet."

Dieser potentiellen Gefährdung der demokratischen Gesellschaftsordnung haben wir uns mit aller uns zur Verfügung stehenden Kraft und mit vielfältigen Mitteln entgegenzustellen: am Arbeitsplatz genauso wie in der Freizeit oder in der Schule.

Aus der sich beschleunigt verändernden Gesellschaft mit ihren vielfältigen Widersprüchen resultieren nicht nur ungeheure Chancen und Möglichkeiten für die Menschen, ihr entspringen ebenso Arbeitslosigkeit und Zukunftsangst und somit jener Nährboden, den Demagogen für ihr schmutziges Handwerk brauchen, um auf Zuhörerschaft zu stoßen.

Derartigen Gefahren kann eine Gesellschaft um so erfolgreicher begegnen, je intensiver die Menschen mit ihrer Geschichte vertraut sind. Geschichtskenntnis ist kein Allheilmittel gegen die Droge Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit. Sie ist aber ein Katalysator im Kampf gegen antidemokratische Entwicklungen jeder Couleur. Neben der Schule werden diese Kenntnisse über Menschenrechtsverletzungen vor allem an jenen authentischen Orten vermittelt, die heute als Gedenkstätten an die Opfer von Gewaltherrschaft erinnern.

Gedenkstätten in diesem Sinne sind offene Lernorte, deren Ziel es ist, aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen. In der DDR existierten bekanntlich eine ganze Reihe von Mahn- und Gedenkstätten, die an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnerten. Letztlich fungierten diese Einrichtungen aber zur Legitimation der SED-Herrschaft.

Nicht nur in Buchenwald und Sachsenhausen wurde die Geschichte des authentischen Ortes verfälscht; ganze Opfergruppen wurden ausgeblendet, das rassistische Element der nationalsozialistischen Ideologie marginalisiert und der zweifellos große kommunistische Blutzoll noch überhöht.

Auch die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge war zum Weiheort verkommen, über den Massengräbern in den 60er Jahren war eine Aufmarschfläche geschaffen worden. Die von Häftlingen errichtete Untertageanlage baute die NVA zu militärischen Zwecken aus. Gleichzeitig wurde verbreitet, die Anlage sei gesprengt worden. Die Untaten der Nationalsozialisten im "Roten Ochsen" in Halle waren wenig bekannt, das System der KZ-Außen- und Zwangsarbeitslager unerforscht.

Die friedliche Revolution in der DDR markiert auch in der Gedenkstättenarbeit eine Zäsur. Die Ausstellungen in den NS-Gedenkstätten waren auf der Basis neuer Forschungen, die auf der Grundlage der strengen Kriterien der Wissenschaft erfolgen mussten, neu zu gestalten. Dogmatische Bildungsansätze mussten überwunden werden; Diskussion und offener Meinungsstreit hatten vorgegebene Interpretationen zu ersetzen. Darüber hinaus bestand von seiten der SED-Opfer die berechtigte Forderung, neue Gedenkstätten einzurichten, die an ihre Leiden und die Menschenrechtsverletzungen während der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED-Diktatur erinnern sollten.

10 Jahre nach der demokratischen Revolution in der DDR sei es mir an dieser Stelle gestattet, ein kurzes Resümee zum Aufbau der Gedenkstätten für die Opfer von Gewaltherrschaft im Land Sachsen-Anhalt zu ziehen. Das Ende der 1. Amtsperiode des Gedenkstättenbeirates, das sich zufällig mit diesem Jubiläum überschneidet, gibt mir hierfür einen willkommenen Anlass.

Gegenwärtig befinden sich fünf Gedenkstätten für die Opfer von Gewaltherrschaft, die jeweils exemplarisch an die verschiedenen Menschenrechtsverletzungen und Opfergruppen erinnern, in der Trägerschaft des Landes Sachsen-Anhalt.

Die Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge ist die einzige dieser Einrichtungen, die bereits vor 1989 existiert hat. Nach Abschluss einer Verwaltungsvereinbarung wurde sie im Herbst 1994 in die Trägerschaft des Landes genommen. Anschließend wurde die alte Ausstellung demontiert und begonnen, die inhaltliche Arbeit auf der Basis eines Sachverständigengutachtens zu verändern. Voraussichtlich noch in diesem Jahr werden die Forschungsarbeiten, die vor einigen Jahren aufgenommen worden sind, zu einem gewissen Abschluss geführt werden können. Damit haben wir die Grundlagen geschaffen, um nach dem Umbau des Hauses zukünftig eine völlig neue, an den historischen Tatsachen orientierte Ausstellung präsentieren zu können. Diese Ausstellung wird auch das unrühmliche Kapitel der Mahn- und Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge vor 1989 skizzieren.

Die Einbeziehung des gesamten, nicht ausgebauten Stollensystems in die Gedenkstätte - das habe ich vor einem Jahr auch den ehemaligen Häftlingen mitgeteilt - ist vom Land auf absehbare Zeit nicht finanzierbar. Gegenwärtig wird der Vorschlag geprüft, einen Teilbereich des Stollens für Besucher zu öffnen. Auch die Neugestaltung der Bildungs- und Erinnerungsarbeit der Gedenkstätte ist noch nicht abgeschlossen. Ich bitte Sie als Mitglieder des Gedenkstättenbeirates, die Umgestaltung der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge auch in der Folgezeit mit Rat und Tat zu begleiten.

Die Gedenkstätte für Opfer der NS und "Euthanasie" in Bernburg ist von allen Gedenkstätten des Landes konzeptionell und inhaltlich-organisatorisch am weitesten fortgeschritten. Hier werden wir - aufbauend auf dem Erreichten - die Arbeit in den nächsten Jahren kontinuierlich weiterentwickeln.

Die Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle dokumentiert drei unterschiedliche Unrechtsregime. Die Spezifik dieses Hauses besteht - das muss ich in diesem Kreis nicht besonders betonen - in der Verwobenheit der Menschenrechtsverletzungen während der verschiedenen diktatorischen Regime des 20. Jahrhunderts. Manch Opfer des NS-Regimes mutierte nach 1945 zum Täter. Sie wissen vielleicht, dass wir buchstäblich erst in letzter Minute vor der Eröffnung der Gedenkstätte im Februar 1996 noch Veränderungen an der Ausstellung vornehmen mussten, da sich herausgestellt hatte, das ein NS-Opfer eine wichtige Funktion bei der Herausbildung des Strafvollzugswesens in der SBZ/DDR besaß.

In Halle konnten wir in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte beim Aufbau der Gedenkstätte erreichen. Grundlage dieses Ergebnisses waren solide fachliche Recherchen. Es ist uns gelungen, die Hinrichtungsstätte exakt zu lokalisieren und die konzeptionellen Arbeiten für die weitere Gestaltung der Gedenkstätte fortzusetzen. Trotz unserer begrenzten finanziellen Möglichkeiten wollen wir den Ausbau der Einrichtung in den nächsten Jahren weiterführen.

In der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt am Moritzplatz in Magdeburg werden wir anläßlich des 10. Jahrestages der Existenz der Gedenkstätte im Dezember dieses Jahres voraussichtlich eine kleine Ausstellung zur Geschichte der Untersuchungshaftanstalt in den 50er und 60er Jahren einweihen können. Vor wenigen Wochen konnte eine Publikation zu den Ereignissen in diesem Haus während der Herrschaft Ulbrichts vorgelegt werden. Im kommenden Jahr sollen diese Forschungen fortgesetzt werden.

Ein Schwerpunkt unserer Arbeit lag in den letzten Jahren auf dem Ausbau der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. Die bisher erzielten Ergebnisse und auch das rege Interesse der öffentlichkeit rechtfertigen diese Schwerpunktsetzung. Am 30. Juni dieses Jahres werden wir im Stabsgebäude der ehemaligen Grenzübergangsstelle die Dauerausstellung einweihen, hierzu darf ich Sie bereits heute herzlich einladen.

Neben dem Aufbau der landeseigenen Gedenkstätten hat das Land in den zurückliegenden Jahren auch die Weiterentwicklung und Modernisierung von kommunal getragenen Gedenkstätten gefördert. Hier wird das Land auch in Zukunft seinen Beitrag leisten. Wie bei der weiteren Entwicklung der landeseigenen Gedenkstätten haben wir uns bei der zukünftigen Unterstützung auch der lokalen Einrichtungen an der schwierigen Finanzlage des Landes zu orientieren. Nicht alles Wünschenswerte wird auch tatsächlich realisierbar sein.

Im Herbst des letzten Jahres veränderten wir die Organisation der landeseigenen Gedenkstätten und richteten dabei im Regierungspräsidium Magdeburg ein neues Dezernat ein, das zentral für die Entwicklung sämtlicher Gedenkstätten des Landes zuständig ist.

Das Land erhofft sich durch diese Maßnahmen eine Intensivierung der Gedenkstättenarbeit.

Anrede,

Gedenkstättenarbeit ist ein sehr sensibles Thema, sie muss mit hohem Einfühlungsvermögen auf der Grundlage eines demokratischen Wertekonsenses und einer möglichst hohen Akzeptanz der Einrichtungen in der Bevölkerung betrieben werden. Für die Entwicklung der Gedenkstätten gibt es keinen eindeutig vorgeschriebenen Weg, dafür sind die Probleme zu schwierig und die Interessen einzelner sozialer Gruppen zu unterschiedlich. In Kenntnis dieser Schwierigkeiten hat die Landesregierung im Jahre 1995 mit dem Gedenkstättenbeirat ein Gremium geschaffen, das mehrere Funktionen erfüllen sollte:

Mit dem Gedenkstättenbeirat soll den Opferorganisationen zunächst ein Podium gegeben werden, auf dem sie ihre speziellen Interessen artikulieren können. Damit soll das Verständnis der Position der jeweils anderen Seite erleichtert werden. Der Gedenkstättenbeirat ist aber insbesondere dazu geschaffen worden, um in Kenntnis der Wünsche und Zielsetzungen der verschiedenen Organisationen, Verbände, der Kirchen usw. Empfehlungen zur weiteren Entwicklung der einzelnen Gedenkstätten auszusprechen. Diesem Auftrag ist der Gedenkstättenbeirat in den vergangenen fünf Jahren voll und ganz gerecht geworden, das darf ich hier nach Ablauf der 1. Amtsperiode des Gedenkstättenbeirates ohne Einschränkung formulieren. In 20 Sitzungen haben Sie, meine Damen und Herren, sich vor Ort mit der Situation der einzelnen Einrichtungen vertraut gemacht, über Konzepte diskutiert und über Alternativen beraten. Sie haben mitunter lange Anreisen in Kauf genommen und sich stundenlang auf die Sitzungen vorbereitet. Die von Ihnen ausgesprochenen Empfehlungen spiegeln dieses Engagement wieder. Sie zeugen von der Intensität, mit der Sie sich in Problembereiche eingearbeitet und mit der Sie um Lösungen gerungen haben.

Dieser Erfolg ist um so bemerkenswerter, als es sich bei der Mitgliedschaft im Gedenkstättenbeirat um ein reines Ehrenamt handelt. Für dieses Engagement, das Sie in den letzten fünf Jahren gezeigt haben, möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken. Ohne Ihre Hilfe und Ihren Rat hätten die Gedenkstätten sicherlich nicht so entwickelt werden können, wie ich es am Anfang meiner Rede skizziert habe.

Insbesondere sei es mir erlaubt, dem Vorsitzenden des Gremiums, Herrn Prof. Dr. Harald Schultze, der mit dem heutigen Tag aus Altersgründen aus dem Beirat ausscheidet, meinen ganz persönlichen Dank auszusprechen. Es ist Ihnen, sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schultze, in den zurückliegenden Jahren gelungen, in der Ihnen eigenen Art eine tolerante Arbeitsatmosphäre im Beirat zu schaffen und ausgleichend zwischen unterschiedlichen Interessengruppen zu wirken. Ihr überparteiliches und am Sachgegenstand ausgerichtetes Wirken hat entscheidend zum Erfolg des Beirates in den fünf Jahren seiner Existenz beigetragen und Sie zu einem allseits anerkannten Vorsitzenden des Gremiums werden lassen.

Ganz besonders danken möchte ich auch jenen Mitgliedern des Beirates, die nach dieser Amtsperiode aus diesem Gremium ausscheiden. Ihren Nachfolgerinnen und Nachfolgern wünsche ich viel Erfolg bei ihrer wichtigen Aufgabe. Zum neuen Vorsitzenden des Gedenkstättenbeirates habe ich mit Propst Josef Kuschel erneut einen Vertreter der Kirche gewinnen können. Ich bin der festen überzeugung, dass Sie, Herr Kuschel, die Amtsgeschäfte des Vorsitzenden des Gedenkstättenbeirates ebenso souverän führen werden wie Ihr Vorgänger.

Ich wünsche Ihnen, meine Damen und Herren, auch für die 2. Amtsperiode des Gedenkstättenbeirates eine konstruktive Arbeitsatmosphäre, denn nur durch eine offene, am Sachgegenstand orientierte Diskussion kann der Gedenkstättenbeirat seine wichtige Funktion erfüllen.

Wir sind nicht verantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen früherer Generationen, doch tragen wir Verantwortung für die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft. Hierzu gehört in ganz besonderem Maße auch der Umgang mit unserer Geschichte. Diesen Umgang im Zusammenhang mit der Entwicklung der Gedenkstätten im Land Sachsen-Anhalt federführend mit zu gestalten, ist die wichtige Aufgabe des Gedenkstättenbeirates auch in seiner zweiten Amtsperiode. In diesem Sinne freue ich mich auf Ihre Anregungen und Empfehlungen und wünsche mir eine konstruktive Zusammenarbeit.

 

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