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Aktuelle Pressemitteilungen - Sachsen-Anhalt

Vollständiger Redebeitrag von Innenminister Püchel anläßlich der feierlichen Vereidigung in Naumburg

30.08.2000, Magdeburg – 100

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 100/00

 

Magdeburg, den 30. August 2000

 

 

Vollständiger Redebeitrag von Innenminister Püchel anläßlich der feierlichen Vereidigung in Naumburg

 

 

Es gilt das gesprochene Wort!

 

Anrede,

gern bin ich der Einladung des Panzerartilleriebataillons aus Weißenfels und des Naumburger Oberbürgermeisters gefolgt, am heutigen Tag zu den Rekruten aus den Standorten Halle, Hohenmölsen und Weißenfels zu sprechen. Ich finde es gut und wichtig, dass dieses Gelöbnis hier auf diesem Platz stattfindet, mitten in der Stadt. Gelöbnisse in der öffentlichkeit bringen zum Ausdruck, dass die Bundeswehr fest integrierter Bestandteil unseres Gemeinwesens ist.

10 Jahre nach der Wiedervereinigung ist die Bundeswehr aus dem täglichen Leben unseres Landes nicht mehr wegzudenken. Die zivil-militärische Zusammenarbeit in unserem Land hat sich gut entwickelt und wird von beiden Seiten anerkannt. Soldaten der Bundeswehr haben sich in vielen Einsätzen zur Abwehr von Unglücks- und Katastrophen-fällen Achtung und Anerkennung erworben. Ich erinnere nur an die jüngsten Einsätze zur Waldbrandbekämpfung im Landkreis Stendal vor zwei Monaten.

Das Feierliche Gelöbnis hier auf dem historischen Marktplatz unterstreicht auch die guten Beziehungen der Stadt Naumburg und ihrer Bürgerinnen und Bürger zur Bundeswehr. Die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den Kommunen der Region, allen voran Weißenfels und Naumburg, hat sich sehr gut entwickelt.

Liebe Rekruten,

Ihr Gelöbnis ist keine innermilitärische Angelegenheit. Es ist in erster Linie ein Versprechen gegenüber Ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Sie versprechen heute vor Ihren Angehörigen, Vorgesetzten und vor der hier anwesenden öffentlichkeit, Ihre Pflichten als Soldaten gegenüber unserem freiheitlichen Rechtsstaat, unserem wiedervereinigten Vaterland, treu zu erfüllen. Gerade die deutsche Geschichte des zu Ende gehenden Jahrhunderts mahnt uns, dass Menschenwürde, Recht und Freiheit niemandem geschenkt werden. Immer wieder müssen diese grundlegenden Werte errungen und geschützt werden. Dies sage ich auch bewusst vor dem Hintergrund der Diskussion zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundesrepublik.

Wir dürfen es nicht zulassen, dass rechtsextreme Gewalt, rechtsextremistische Gesinnung und Propaganda unseren demokratischen Rechtsstaat gefährden. Wir dürfen nicht zulassen, dass rechtsextreme gewaltbereite Jugendliche aus dumpfem, blindem Hass gegen alles Anderssein Menschen brutal zusammenschlagen oder sogar töten.

Am 8. Mai haben wir der Beendigung des II. Weltkriegs vor 55 Jahren gedacht. Die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus und seiner menschenverachtenden und menschenvernichtenden Ideologie fand damals ein Ende. Seitdem lebt Europa weitgehend in Frieden. Dennoch war die Nachkriegszeit keine wirklich friedliche Periode. Denn 40 Jahre lang beherrschten Blockkonfrontation, kalter Krieg und deutsche Teilung das Bild. In Ostdeutschland entstand mit der DDR ein autoritärer Staat, der seine Bürger bevormundete, gängelte und unterdrückte. Im Herbst 1989 sind wir Menschen in der DDR auf die Straße gegangen und haben ein diktatorisches Regime abgeschüttelt. Damit haben wir die Grundlage für die Einheit und die Freiheit unseres ganzen Vaterlands geschaffen.

Es ist unsere Aufgabe, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen, dass die unmenschliche Teilung durch Mauer und Stacheldraht ein trauriger Einzelfall unserer Geschichte bleibt und dass menschenver-achtende Ideologien keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft finden. Diese Verpflichtung gilt auch und ganz besonders für die Bundeswehr, die bei ihrer Gründung vor fast 45 Jahren bewusst auf ein Fundament gestellt wurde, das aus den grundlegenden Werten unserer Demokratie besteht. Von Beginn an war und ist die Bundeswehr der uniformierte Teil unserer zivilen Gesellschaft.

Liebe Rekruten,

das feierliche Gelöbnis ist eine Jahrhunderte alte soldatische Tradition. Gelöbnisse gab und gibt es in allen Teilen der Erde, in allen Regierungsformen und -systemen. Am Anfang stand der Treueeid der Soldaten auf Kaiser, Könige oder Fürsten. Der Schwur zu Treue und Gehorsam schuf eine feste Bindung an deren Befehlsgewalt. Der bewusste Bruch dieses Eides war ein schweres Vergehen, das harte Strafen nach sich zog.

Als nach dem Ende des 1. Weltkriegs die Weimarer Republik als erste Demokratie auf deutschem Boden entstand, änderten sich auch Form und Inhalt des militärischen Treueversprechens. Die Soldaten legten ihren Treueeid auf den Reichspräsidenten und die Reichsverfassung ab. Damit wurde zum ersten Mal das Bekenntnis zu grundlegenden Werten menschlichen Zusammenlebens in dieses Versprechen aufgenommen. Diese Errungenschaft hatte jedoch nicht lange Bestand. Mit der Herrschaft des Nationalsozialismus war es allein der "Führer" Adolf Hitler, dem die Soldaten unbedingte Treue und Gehorsam schworen. Nach damaligem Verständnis gab es gegenüber jedem Befehl kein "wenn und aber". Die Geschichte der Jahre 1939 bis 1945 hat gezeigt, was dies bedeutete. Dem geschworenen Eid treue Soldaten wurden durch eine verbrecherische Regierung in einen Krieg geführt, der millionenfach Tod, unmenschliches Leid und Zerstörung über Deutschland und Europa brachte.

Auch in der DDR, die mit dem Anspruch auftrat, antimilitaristisch und antifaschistisch zu sein, war der Fahneneid ein grundlegendes militärisches Ritual. Die Rekruten der Nationalen Volksarmee hatten zu schwören, ehrliche und tapfere Soldaten zu sein und den militärischen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam zu leisten. Wohin dies geführt hat, wissen wir alle. Hunderte Menschen wurden das Opfer verbrecherischer Befehle zum Schusswaffengebrauch bei sogenannter "Republikflucht". Sie verloren ihr Leben, weil sie in Freiheit leben wollten.

In Westdeutschland bestimmten die schlimmen Erfahrungen des Nationalsozialismus auch die überlegungen zur Schaffung einer neuen Eidesformel für die neu zu gründende Bundeswehr. Nie mehr sollte es möglich sein, Soldaten auf Grund ihres Eides zu Straftaten oder Verbrechen zu zwingen. Nie mehr sollten Befehle in blindem Gehorsam ohne jede Möglichkeit des Einspruchs ausgeführt werden müssen. Nie mehr sollten sich militärische Verbrecher und Mörder in Uniform hinter der Pflicht zum unbedingten Gehorsam verstecken können.

Liebe Rekruten,

im Mittelpunkt des Gelöbnisses der Bundeswehr steht das Treuebekenntnis zur Bundesrepublik Deutschland. Sie binden sich an unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat und an das Grundgesetz als dessen Grundlage. Damit sind Sie den Grundrechten und Grundprinzipien unsere Verfassung verpflichtet, zuvörderst der Achtung und Bewahrung der Würde des Menschen. Für diese Werte stehen Sie als Soldaten mit Ihrem Gelöbnis ein.

Der Schutz der Demokratie und der Menschenwürde kennzeichnet die Tradition der Bundeswehr. Unsere Soldaten stehen jedoch nicht alleine in dieser Pflicht. Wir alle sind als Staatsbürger diesen Werten verpflichtet und Sie, liebe Rekruten, können sich daher darauf verlassen, dass die Gesellschaft hinter Ihnen steht.

Das demokratische Fundament der Bundeswehr hat sich von Beginn an bewährt. Es hat zu ihrer Achtung und zum Ansehen in der Bevölkerung, aber auch bei unseren Partnern in Europa und in der NATO beigetragen. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der zunehmenden internationalen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland durch die Teilnahme der Bundeswehr an Friedenseinsätzen im Rahmen der UNO.

Die Bedrohungssituation Deutschlands aus der Zeit des Kalten Krieges existiert zum Glück nicht mehr. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes befindet sich Europa gerade in einer Phase der Neuordnung. Aus ehemaligen Gegnern sind Verbündete geworden. Wir können es nicht hoch genug einschätzen, dass wir in Deutschland mit allen angrenzenden Nachbarländern in Frieden und Freundschaft leben.

Dennoch leben wir auch heute nicht auf einer sicherheitspolitischen Insel der Glückseligen. Neue Risikobereiche haben sich eröffnet, die auch uns betreffen. Als Teil des nordatlantischen Bündnisses ist die Bundesrepublik ganz neuen Herausforderungen ausgesetzt, denen politisch und eben auch militärisch begegnet werden muss.

Liebe Rekruten,

unter Ihnen werden vielleicht einige sein, deren Einsatzgebiet im nächsten Jahr das Kosovo sein wird. Ich war in den vergangenen Jahren mehrmals in Bosnien und habe viel menschliches Leid, Zerstörung und Elend gesehen. Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, dass sich so etwas wiederholen würde. Die Geschichte hat mir leider nicht recht gegeben. Die Bilder aus dem Kosovo sind uns alle noch in schrecklicher Erinnerung. Nur durch den Einsatz von NATO-Truppen konnte dem unmenschlichen Wüten der Truppen des Diktators Milosevic Einhalt geboten werden.

Ende März habe ich das Kosovo bereist, um mir vor Ort ein Bild davon zu machen, wie deutsche Soldaten am Wiederaufbau und der Sicherung des Friedens in diesem geschundenen Land beteiligt sind. Die internationalen Truppen haben dort viel Gutes geleistet.

Immerhin konnte der Frieden soweit gesichert werden, dass die ersten Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren konnten. Obwohl der Wiederaufbau des Landes langsam beginnt, bleibt die Situation im Kosovo unsicher und instabil. Die immer wieder aufflammenden Konflikte führen uns dies vor Augen. Internationale Hilfe und Unterstützung werden dort noch lange benötigt werden. Nicht nur, um das Land wiederaufzubauen, sondern auch, um Frieden in die Herzen der Menschen zu bringen.

Zum Kontingent des Wehrbereichs VII, das vor wenigen Wochen zurückgekehrt ist, gehörten auch 36 Soldaten des Panzerartilleriebataillons 385. Sie fanden sich während ihres Einsatzes in den unter-schiedlichsten Verwendungen wieder, als Sanitäter, als Koch, als Kraftfahrer, als Planungsstabsoffizier.

Wenn Sie, liebe Rekruten, heute Ihr feierliches Gelöbnis ablegen, dann tun Sie dies auch in dem Bewusstsein, dass Kameraden von Ihnen auf dem Balkan im Einsatz sind. Sie alle verbindet der eindeutige Auftrag ihres Dienstes in der Bundeswehr: die Würde des Menschen zu schützen und zu verteidigen.

Nicht nur das internationale Engagement der Bundeswehr zeigt deutlich, dass sich die Bundeswehr im Umbruch befindet. Gewachsener internationaler Verantwortung und der Notwendigkeit zur Modernisierung der Ausrüstung stehen haushaltspolitische Zwänge gegenüber. Die Debatten um die Wehrpflicht und den Einsatz von Frauen machen deutlich, dass auch die innere Struktur der Bundeswehr Veränderungen ausgesetzt ist. Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist eines der wesentlichen Reformvorhaben der Bundesregierung. Ende Mai hat die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" ihre Beratungsergebnisse und Empfehlungen vorgelegt. Bundesminister Rudolf Scharping präsentierte die "Eckpfeiler für die Neuausrichtung der Bundeswehr der Zukunft", die die Grundlage der Entscheidung des Bundeskabinetts zur Strukturreform bilden. Damit ist auch die Richtung für die noch zu erstellende Feinausplanung der Streitkräfte und der Bundeswehrverwaltung vorgegeben.

Trotz einer Reduzierung der Truppenstärke bleibt die Allgemeine Wehrpflicht bestehen und das begrüße ich sehr. Gerade der ständige Austausch zwischen der Gesellschaft und der Bundeswehr und die Kenntnisse, die junge Wehrpflichtige mitbringen, tun der Bundeswehr gut.

Als Wehrpflichtigenarmee bleibt die Bundeswehr jünger, frischer und flexibler. Sie hat ein Potential, aus dem sie qualifizierten Nachwuchs an Zeit- und Berufssoldaten gewinnen kann. Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerverantwortung in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Heute rücken bereits die Enkelsöhne der ersten Wehrpflichtigen der 50er Jahre in die Kasernen ein und erfüllen ebenso Ihre staatsbürgerliche Pflicht wie ihre Väter und Großväter. Sie treten ihren Dienst in einer Zeit an, die für die Bundeswehr Umbrüche und Veränderungen mit sich bringt.

Liebe Rekruten,

Ihr Auftrag und das Grundverständnis des Dienstes in der Bundeswehr ist dennoch der Gleiche wie für die Wehrpflichtigen in den gut vierzig Jahren vor Ihnen. Mit Ihrem heutigen Gelöbnis stellen Sie sich in die Tradition der Bundeswehr, die Menschenwürde und den Frieden zu schützen. Der Dienst in der Bundeswehr ist damit eben nicht nur eine militärische Erfahrung. Vor allem ist er nicht nur "ein Job".

Dienst in der Bundeswehr ist eine Aufgabe und eine Berufung. Hier sollen Lebenserfahrung und politische Bildung vermittelt werden. Hier kann man erlernen und erleben, dass unser Gemeinwesen eine wehrhafte Demokratie ist. Junge Menschen erfahren, dass weder der einzelne Bürger im Verhältnis zu anderen, noch der Staat im Verhältnis zu anderen Staaten für sich allein bestehen und handeln können.

Die Entscheidung für die Bundeswehr ist also vor allem eine Werteentscheidung. Sie ist Bekenntnis zu einer Demokratie, die bereit ist, für ihren Bestand und ihre Prinzipien einzutreten.

Als verantwortungsbewusste und engagierte Mitbürger stellen Sie, liebe Rekruten, sich für uns alle in eine besondere Pflicht. Wie viele Tausend Wehrpflichtige vor Ihnen zeigen Sie mit Ihrer Bereitschaft zum Wehrdienst, dass Sie eine Aufforderung von John F. Kennedy beherzigen, die er bei seinem Amtsantritt 1961 ausgesprochen hat. Er sagte damals: "Fragt nicht, was der Staat für euch tun kann, sondern fragt, was ihr für den Staat tun könnt!" Diese Aufforderung hat für ein funktionierendes Gemeinwesen unverändert Gültigkeit. Wir alle sind gefordert, an dessen Gestaltung aktiv mitzuwirken.

Wenn Sie nachher Ihr feierliches Gelöbnis ablegen, dann versprechen Sie Treue und Tapferkeit. Treue steht dabei für Verlässlichkeit, für verantwortungsbewusstes Handeln. Und "tapfer" ist der Soldat, der seine Pflicht gewissenhaft erfüllt.

Das ist kein falsches Pathos, denn Tapferkeit und Treue sind zeitlose Werte. Das gilt auch für Pflichtbewusstsein, Kameradschaft, Wahrhaftigkeit und Mut. Auch wenn ein verbrecherisches Regime in Deutschland diese Werte schamlos missbraucht hat, ändert das an ihrer Gültigkeit im ausgehenden 20. Jahrhundert nichts.

Ich wünsche Ihnen für die weitere Zeit Ihres zu leistenden Wehrdienstes in den Standorten Halle, Hohenmölsen und Weißenfels viel Erfolg und Soldatenglück.

Meine Damen und Herren,

Bürger in Uniform heißt in erster Linie auch, dass die Soldaten Bürger mitten in der Gesellschaft bleiben, um ihren Auftrag zu erfüllen. Darum bitte ich Sie alle: Begleiten Sie diese jungen Menschen, damit es ihnen gelingt, den Frieden, die Menschenwürde, unsere Gesellschaft und unser Land zu verteidigen.

Ich danke Ihnen.

 

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